Prof. Dr. Joachim Körkel
Prof. Dr. Jens Reimer
Liebe Leserinnen und Leser,
was in der inneren Medizin schwierig erscheint, soll in der Suchtmedizin bzw. Suchtbehandlung
allgemein funktionieren? Einen übergewichtigen Diabetiker zu motivieren, adäquat zu
essen und das Gewicht möglichst schnell zu normalisieren, gelingt häufig trotz intensiver
Unterstützung nicht. Die gleiche Erfahrung machen wir tagtäglich mit Suchtkranken:
Trotz intensiver Motivierung zur Abstinenz gelingt die Abstinenz nicht oder nur partiell.
Was hat zu diesem hohen und lange Zeit singulär bestehendem therapeutischem Zielanspruch
der Abstinenz beigetragen? Hier können vielleicht die Entwicklung der Suchttherapie
aus einer kirchlichen Tradition mit einer Anfälligkeit für Dogmen, die Erfahrung der
Ohnmacht Betroffener und deren Einfluss auf therapeutische Ansätze in der Selbsthilfe
oder auch die Funktion des Suchtkranken als Objekt von Phantasien und Neidprojektionen
seitens der Gesellschaft oder der Therapeuten genannt werden. In keinem Bereich der
psychischen Erkrankungen ist der Anteil von Betroffenen in spezifischer Behandlung
so gering wie in der Sucht, bei Alkoholkranken wird nur jeder 10. von spezifischer
Therapie erreicht. Hierzu mag das für viele Betroffene unattraktive Ziel der Abstinenz
beigetragen haben. In der Forschung war und ist übrigens die Reduktion der Trinkmenge
ein gängiger Zielparameter.